Walaceks Traum. Roman
Walacek sieht seine in Moskau zurückgebliebenen Eltern 1965 wieder. Dazwischen liegt mehr als die Stalin-Ära. Beinahe ein halbes Jahrhundert. Was bedeutet es, Menschen wiederzusehen, von denen sie dich fortgerissen haben, als du ein winziges Pflänzchen, ein Keimling warst, sie wieder vor dir zu haben, wenn du 48 Jahre alt bist (in der Schweiz ist das das Alter des Landsturms, der Reserve), und die alten Eltern noch eine Generation weiter sind? Menschen, die auf den Tod warten oder darauf, gemeinsam in einer Wohnung in der düsteren Stadt zu sterben. Sie können dir große Worte sagen: Das ist dein Vater. Das ist deine Mutter. Und das ist euer Sohn.
Bald senkt sich etwas Übertriebenes herab. Väterliche und mütterliche Fürsorge, und Tränen. Liebenswürdigkeit bis hin zur Unterwürfigkeit, bei dem Sohn. Bald schleicht sich Verdruss ein, zuerst beim Sohn, bei dem, der im Wohlstand lebt, in der Moderne, im Westen. Was will er hier? Sehenswürdigkeiten gibt es genug, ein Museum, das Haus von Tolstoi, Herzen, Tschechow. Das Bolschoi, der Rote Platz, versteht sich, mit der langen Schlange vor dem Mausoleum. Kaviar und Wodka, ja, ja. Aber es ist ein anderer Stern. Nach einigen Tagen ist allen klar, dass die Mehrzahl der Menschen wie Katzen sind, nicht wie Hunde. Sie hängen mehr an den Orten als an den Personen. Daher ist es gut, dass ein jeder in sein eigenes Bett, zu seinen bewährten Gewohnheiten zurückkehrt. Moskau–Genf, mit einem Swissair-Flug. Von einem Bruder, der nach seiner Abreise aus Moskau 1918 geboren wurde, kann er sich nicht verabschieden. Denn der Bruder ist tot.