Blindgänger. Roman

In weiser Voraussicht hatte ich kraft meiner Auto­­rität als leitender Arzt der Klinik Rychenegg den Fall Jean-­Pierre Marty zur Chefsache erklärt. Zu Beginn deutete nichts darauf hin, dass seine Krankengeschichte in irgendeiner Weise ungewöhnlicher wäre als vergleichba­re Anamnesen von Gedächtnisverlust. Im Ge­genteil, meine Einschätzung der Heilungschancen war aufgrund der neurologischen Abklärungen vorsichtig optimistisch. Dann nahm die Geschichte eine merkwürdige, für mich bis heute kaum nachvollziehbare, geschweige denn medi­zinisch erklärbare Entwicklung. Ich bin auf der ganzen Linie ratlos, was beim Fall Marty wahr ist, ob irgendetwas wahr ist.

Die erste Sitzung war am Dienstag, 9. September 2003, auf zehn Uhr angesetzt, in meinem Büro im alten Ost­flügel der Klinik, in dem jegliche Assoziation mit einer ärztlichen Praxis sorgsam vermieden wird, ein herrschaftlicher Raum mit hohen Fenstern, durch die an diesem Vormittag eine kräftige Septembersonne drängte, in Schach gehalten von unästhetischen, aber äußerst praktischen Hängestoren, die eine subtile Regelung des Lichteinfalls ermöglichen.