Auf der Suche nach dem verlorenen Schnee. Erzählungen und Essays

Eine ganz spezielle Sorte von Bergen sind die heiligen Berge. Heiliger Berg meint hier nicht das Numinose, welches jedem Berg anhaftet, meint auch nicht Berge mit aufgepflanztem Kreuz, womöglich mit romanischen oder lateinischen Sprüchen daran, z.B. E montibus salus – diese Kreuze der Kreuzfahrer mit ihrer Wahnidee, erobern zu müssen. Die heiligen Berge sind im besten Fall mit Antennen und Schirmen bespickt, nationale Berge, je näher dem Gotthard desto hohler.

Die Murmeltiere

«Gibt es hier auch Wild?» Standardfrage des Touristen. «Ja es gibt hier auch Wild», sagt der Jäger, «aber lesen Sie lieber Adorno. Sie sehen aus wie einer, der Adorno liest!» Jäger zitiert feierlich Adorno mit romanischem Akzent: «Wer einmal den Laut von Murmeltieren hörte, wird ihn nicht leicht vergessen. Dass er ein Pfeifen sei, sagt zu wenig: es klingt mechanisch, wie mit Dampf betrieben. Und eben darum zum Erschrecken. Die Angst, welche die kleinen Tiere seit unvordenklichen Zeiten müssen empfunden haben, ist ihnen in der Kehle zum Warnsignal erstarrt; was ihr Leben beschützen soll, hat den Ausdruck des Lebendigen verloren. In Panik vorm Tod haben sie Mimikry an den Tod geübt.»