Blindgänger. Roman

Jetzt: weil er ausgelaugt ist, zynisch, jeder Schultag wurde unerträglicher. Sein Antrag auf ein Freisemester, Sabbatical klingt besser, ist ihm anstandslos bewilligt worden. Wiedersehen am Montag, 18. August, zum neuen Schuljahr. Er fährt sich über die feuchte Stirn. Vieles muss sich in diesen knapp vier Monaten ändern. Diese Leere, nicht einmal Schülerarbeiten kann er mehr beurteilen, alle Kriterien sind ihm abhanden gekommen. Keine Ahnung, was gut ist, was ungenügend, wer ist so anmaßend, das wissen zu wollen. Ihm ist einfach scheißegal, was die Schüler schreiben, denken, nicht denken, nicht überlegen, nicht wissen. Was hat das mit ihm zu tun?

Eine Zeitlang kann man noch so tun als ob, man hat ja schließlich Expertise nach so vielen Jahren Berufstätigkeit, die Phrasen sprechen und schreiben sich von allein, schlängeln sich gekonnt in die Beurteilungen, die aus luftigen Satzmodulen bestehen, die man mal so, mal so aneinanderreihen kann. Glauben muss das keiner. Leider wird nach einiger Zeit das Unbehagen schwer, würgt dich, ja schneidet dir die Luft ab. Spuck es endlich aus. Dass du genauso oberflächlich und uninteressiert geworden bist wie deine Schüler. Von Jahrgang zu Jahrgang schlimmer, ewiges Lamento der Kollegen. Oder dass nichts mehr in deinem Kopf ist, keine Meinung zu den Dingen, selbst nicht, ob du Meinungslosigkeit gut oder katastrophal findest. Altersweisheit ist es bestimmt nicht. Es gab nur eins – weg. Auszeit. Eine unbe­kannte Umge­bung verdampft zumindest für eine gewisse Zeit die breiige Langeweile, denn täglich sind unzählige banale Entscheidungen zu treffen, wenn alles neu ist, zum Beispiel, welche Straße er jetzt nehmen soll.