Blindgänger. Roman
Er leidet unter Schlaflosigkeit, seit er sich erinnern kann. Er hat viele Taktiken entwickelt: eine ziemlich erfolgreiche ist, sich nicht zu rühren, sich schlafend stellen. Heute Morgen gelang es beinahe, der Schlaf ließ sich täuschen, kam heran, ganz nahe. Zum Greifen. Dabei wartete der nur, bis er wieder eine unüberlegte Bewegung machte. Hellwach. Wütend. Das sind die gefährlichen Momente, wo die Giftblasen aufsteigen.
Szenen der Lehrerkonferenz kurz vor seiner Abreise, Ärger und Resignation wirbeln durcheinander, aus diesem Karussell kann man nicht herausspringen. Heute fragt er sich, weshalb er nur hingegangen ist, sein Urlaub hatte mit den Frühlingsferien begonnen, seine Teilnahme war keineswegs notwendig. Scheißpflichtgefühl. Ist ja bekannt, dass Perfektionisten ihr fehlendes Selbstwertgefühl mit Kontrolle kompensieren. Trotzdem ist er unfähig loszulassen.
Diese provokativen jungen Kollegen mit ihrer penetranten Energie für Verbesserungen, ihrem Glauben an die Veränderbarkeit des Systems. Die Lehrerschaft ist seit Längerem in zwei Lager geteilt, die Jungen gegen die Gelassenen, die nicht daran denken, jede behördlich verordnete Reform gleich umzusetzen, eine inflationäre Menge in den vergangenen Jahren, man kann sie auch aussitzen. Seine Parole. Pech ist, dass seine Schule als sogenanntes Reformgymnasium auserwählt wurde, Testgelände für Schulversuche, bevor sie kantonsweit eingeführt oder stillschweigend abgeblasen werden.