Auf der Suche nach dem verlorenen Schnee. Erzählungen und Essays
Die ersten Reihen draussen im Leben, in die wir selbst magisch hineingezwängt wurden wie Bücher, waren die Bänke in der Kirche. Die erste Klasse sass in der ersten Bank, die zweite in der zweiten Bank, die dritte in der dritten Bank und so weiter bis zu den Grossen. Dann kamen die Burschen, dann etwas ungeordnet die Erwachsenen, dann unter der Empore die Alten und zuhinterst bei den Säulen und auf der Treppe die Ungläubigen. Der Gang in der Mitte trennte die beiden Geschlechter: Männer und Frauen, die sich wiederum aufteilten von vorne nach hinten in kleine und grosse Mädchen, verheiratete Frauen und alte Jungfern, Grossmütter und Greisinnen. Ab der Mitte nach hinten war die Ordnung nicht mehr so klar. Aber je weiter nach vorne man schaute, je unschuldiger erschien es und je strukturierter war es. Die absolute Ordnung auf und vor dem Altar. Dort war alles klar.
Auch die Ohren machten Bekanntschaft mit magischen Reihen: Einmal im Jahr erklang von der Kanzel das Totenregister, Ketten von Namen, die sich in Verwandtschaften verzweigten. Häufiger wurden die ewigen Heiligenlitaneien rezitiert, jeder Heilige mit angehängtem «ora pro nobis», immer in der gleichen Melodie gesungen. Während der Rosenkränze und neuntägigen Andachten erklangen aus den Reihen der Bänke Reihen von Seufzern, Vaterunser und Avemaria nach den Geheimnissen des Rosenkranzes geordnet. Es sind dies Reihen von Tönen, wellenförmige Monotonie.