Steinschlag. Andrea Stamms erster Fall
Ein Senn trieb Kühe aus dem Stall, sein archaisches «Hou, hou, hou» hallte durch die Stille. Er hob seinen Stock zum Gruss, rief etwas herüber, dann schlug er auf die Rücken der Kühe ein, die sich widerwillig ins Freie drängten. Hinter den trüben Scheiben einer Hütte schimmerte Licht, Rauch stieg aus einem Kamin.
Andrea ging voran durch nassen Ampfer, der rund um die Alphütten wucherte, folgte einem Trampelpfad der Kühe zwischen Graspolstern und Alpenrosenstauden zum Fuss der Schutthalden. Die ersten Sonnenstrahlen berührten den Felskamm, der sich weit nach Westen dahinzog. Seine Zacken zeichneten sich scharf wie ein Scherenschnitt in den Morgenhimmel. Die Wand darunter erschien schwarz und konturlos. Andrea liess sich nicht beeindrucken, sie kannte die Sila, sie war ihr gewachsen.
Daniel folgte mit geübtem Schritt. Sie legte Tempo zu, verminderte es wieder auf der Zickzackspur durch die Geröllhalde. Der Weg verlor sich im Schutt. Andrea stieg in der Falllinie weiter auf den Pfeilerkopf zu, der den Einstieg in die Westwand der Sila bildete. Auch bei der ersten leichten Kletterei über glatt geschliffene Platten folgte Daniel dicht hinter ihr. Auf einem Absatz stellte sie den Rucksack ab, trank einen Schluck Wasser.