Wenn die Nacht in Stücke fällt. Ein Brief an Ferdinand Hodler

Um meinen Freunden verständlich zu machen, warum meine Gedanken ständig um Sie kreisen, wer­de ich Ihnen Dinge über die Art, wie Sie der Welt durch die Malerei begegnen, schreiben, die Sie be­reits wissen. Wenn man sich sein Leben erzählt, bringt man es in eine Ordnung, auch wenn es in Wirklichkeit un­­ge­ordneter ist als die Biogra­fie. Ich werde also sagen, wie Sie gelebt haben, obwohl Sie nichts mehr berichtigen oder erklären können. Ich werde Ihnen Fragen stellen, die andere rhetorisch finden werden.

Nein, Monsieur Hodler, ich bin nicht verschroben. Nach so vielen Jahren an Ihrer Seite versuche ich das, was ich Ihnen verdanke, klarzustellen: Warum die Porträts einer Sterbenden mir geholfen haben zu leben. Porträts, die ich so oft angeschaut habe, dass mir meine Augen wehtaten, manchmal auch wegen zu vieler Tränen.

Sie sind am Pfingstsonntag, 19. Mai 1918, gestorben, als das Ende des Ersten Welt­kriegs noch nicht abzusehen war. Ich habe nachgeschaut, das Wetter war an je­nem Tag heiter. Zu dieser Zeit im Jahr be­­gin­­nen die morgendlichen Schwimmer, die glatte Oberfläche des Sees aufzuwühlen. Manchmal bin ich in der Morgen­dämme­rung der einzige Schwimmer in den Bains des Pâquis. Während ich ans Ufer zurück­kehre, schaue ich zu Ihrem Balkon hinauf. Es kommt mir vor, als seien Sie immer noch dort, in Decken ge­hüllt, aus denen nur Ihre müden Arme und ein Pinsel heraus­ragen.