Blindgänger. Roman

Das wortlose Entsetzen nach dem Aufwachen vermöge er auch jetzt, zwei Wochen später, noch beliebig auszulösen, sobald er den inneren Film wieder ablaufen lasse. Die Leere liege nicht im Kopf, nein, im Herzen, in der Seele, falls es denn so was geben sollte, flaumig weich und nicht zu fassen. Der Geist erwachte in einem unbekannten Leib. Wieder und wie­der habe er seine Hände betrachtet, eher schmal, schlanke Finger, die sich Tausende Male gedehnt und die zugepackt hatten, Haut mit Falten und ohne Schwielen, welche Tätigkeit gehörte zu diesem Mann? Jede Minute habe sich im Gedächtnis eingebrannt, das nach dem Neustart, so nenne er das Aufwachen an jenem Sonntag, 24. August, wieder zuverlässig arbeitete, geradezu auf Hochtouren, sich alle Einzelheiten einprägte, wie um das Verlorene bei ihm gutzumachen.

Am Sonntagnachmittag war nach dem Erwachen nur wenig Zeit geblieben, das Ungeheure zu erfassen. Die Ärzte beruhigten ihn, solch temporäre Amnesien könnten nach einem mittelschweren Schädel-Hirn-Trauma wie in seinem Fall auftreten, die Erinnerungen seien in der Regel nach Stunden, manchmal auch Tagen langsam wieder abrufbar. Er solle sich keine unnötigen Sorgen machen, Aufregung sei ganz schlecht, jetzt werde erst mal abgewartet. Kaum hatten die Ärzte die ersten Untersuchungen beendet, öffnete sich die Tür, und eine nicht mehr ganz junge, gutaussehende Frau und ein etwa gleich großes Mädchen stürzten freudig ins Zimmer. Mit knapper Not habe er der Umarmung der beiden fremden Frauen ausweichen können.