Blindgänger. Roman

Richtig. Unerwartet erhob sich Marty, beugte sich erregt über den Schreibtisch, ich hätte den Finger treffsicher in die Wunde gelegt. Täglich erwache er in einem ihm komplett fremden Körper. Jeden Morgen putze er sich die Zähne mit dessen Zahnbürste, benutze dessen Rasierer und Rasierwasser, unsicher, ob er den Duft überhaupt möge. Jeden Morgen ziehe er sich die Hüllen des Besitzers dieser ­Kleider über, selbstverständlich alles frisch gewaschen, schlüpfe täglich in dessen Haut, und manchmal ekle es ihn. Sein Ich sei, er rechnete kurz, genau neunzehn Tage alt, davor steckte ein Jean-Pierre Marty im gleichen Körper, ja, diese Tatsache sei ihm bes­tens bekannt. Er sei ein Schauspieler, der zwar den Namen seiner Figur kenne, bloß leider das Stück nicht, das gespielt werde.

Ich bat ihn, sich wieder zu setzen. Und weiterzuerzählen.

Ja. Das Laptop liege seither auf seinem Tisch, genau in der Mitte, eine zugeklappte Auster. Er habe Kreise um den Tisch gedreht, wollte es erst öffnen, wenn er sichergehen konnte, nicht mehr gestört zu werden. Nach dem Essen lasse man ihn gewöhnlich in Ruhe. Aber dann habe er nicht gewagt, das Ding zu berühren. Er habe die Balkontür aufgerissen, kühle Luft mit heiteren Geräuschen sei von außen in den Raum geflossen und er habe sich draußen in den Korbstuhl gesetzt, als ihn plötzlich eine unbändige Lust zu rauchen anfiel. Keiner habe ihn vorgewarnt, offensichtlich sei Marty kein starker Raucher gewesen, der süchtige Körper hätte dem unwissenden Kopf sonst längst gezeigt, was er braucht. Hastig habe er einen Schluck Wasser getrunken, überall und jederzeit stünden in der Klinik ja Mine­ral­was­serflaschen und Gläser herum, Wassertrinken als Grundlage und Vor­aussetzung jeglicher Behandlung, wenn nicht der Existenz überhaupt. Trinken Sie, Herr Marty, Sie haben ja heute noch gar nichts getrunken! Wie oft er das zu hören bekomme, der Wasserstand in der Flasche markiere seine Folgsamkeit oder Rebellion. Die sei schwach, gegen die Überzeugungskraft des Wassers komme er nicht an, also trinke er, soll sich dieses Gehirn, das ihn so schmählich im Stich lasse, doch vollsaugen wie ein Schwamm, besser noch ersaufen im lauwarmen Mineralwasser. Er habe mit der Faust auf das Eisentischchen geschlagen, das Glas sei weggerutscht, auf dem Steinboden zersprungen. Solche Wutanfälle überfielen ihn häufig, unvorbereitet und kurz, vermutlich Hinweis auf eine cholerische Persönlichkeit, nicht wahr.