Auf der Suche nach dem verlorenen Schnee. Erzählungen und Essays
Die Brücken
Von den Rheinen zu den Himmeln, eine waghalsige Reise. Ständig wird der durch die Surselva Reisende mit einem Rhein oder mit einem dieser Himmel konfrontiert. Auf den Brücken extremerweise mit beiden zusammen. Der Himmel ist wegen der Tiefe zu Füssen anders von einer Brücke aus. Aber um das wahrzunehmen, ist es erforderlich, zu Fuss über die Brücke zu gehen. Der Rhein ist wegen der Tiefe anders von einer Brücke aus, schmäler, weisser und sein Rauschen ist irgendwie reiner, lädt vielleicht zum grossen Sprung ein; Lore, Lore, Loreley.
Die hohen Brücken bewirken, dass die tiefen Täler nicht mehr beachtet werden, dass sie schlussendlich nicht existieren. In Eile saust der Verkehr über die Brücken, weiss nichts von den Tälern und von der Mühe, Täler zu durchqueren. Will nichts wissen, will eiligst von einem Ort im andern sein. Die Brücken sind die grossen Hexerinnen: Sie verkürzen die Zeit, lassen die Täler verschwinden, verändern den Himmel. Beispiel Punt Gronda. (Offiziell, wenn ich mich nicht irre, heisst diese Brücke Punt Russein, früher auch Punt Travaulta. Aber das Volk hat Namen, die es fallen lässt.) Diese Brücke, die drei Brücken ist, verbindet den Verkehr, trennt den Himmel vom Tal mit dem Rhein. Die Punt Gronda trennt weiter streng die Materialien: Brücke 1, Holz. Brücke 2, Beton. Brücke 3, Stein. Diese Brücke, die drei Brücken ist, trennt politisch die Cadi in Sursassiala, das sind die Gemeinden gegen Lukmanier und Oberalp hinauf, und in Sutsassiala, das ist der Rest der Cadi: Sumvitg, Trun, Breil, Schlans. Die Punt Gronda ist weiter die Grenze zwischen Sumvitg und Disentis. Doch dieser ganze Namenwirrwarr interessiert niemanden, der über ein von der Konsum- und Tempogesellschaft vergessenes Tal rast.