Auf der Suche nach dem verlorenen Schnee. Erzählungen und Essays

Nun ist der Kaffee aus der Kanne natürlich nicht der Kaffee der Maschinen, kein schwarzer Espresso mit einem schönen Schäumchen, sondern eine gestreckte Flüssigkeit, so klar, dass man hindurchsieht. Wegen seiner Klarheit wird er auch caffè da sontga Clara genannt, ein schlechter Kaffee, sozusagen im guten Sinn des Wortes, den können Sie trinken und trinken, ohne dass er Sie kribblig macht und das Hirn austrocknet. Seitdem die Hörner des Steinbocks an der Wand hängen und seine heilenden Kräfte ignoriert werden, ist dieser traditionelle – um nicht zu sagen nationale – Bündner Kaffee der wahre Heiltrunk für Seele und Darm. Und alle trinken sie zu allen Zeiten caffè da sontga Clara: Erwachsene, Jugendliche, Hund und Katze und auch die Wickelkinder nippen an diesem Kaffee genauso gerne wie an der Mutterbrust. Ja, man kann behaupten, er sei die Muttermilch unserer Nation, wie der Schwarztee bei den Engländern. Vor dem Kaffee hatte zwar der Schnaps eine Weile grosse Bedeutung. Er wurde in teuflischen Mengen getrunken wie der Wodka in Russland. Dann vermochten die Moralisten mit scharfen Predigten und polternden Befehlen dieses Getränk zu bannen, welches den angeborenen Schwachsinn und die windschiefen, buckligen, blassgelben, hinkenden, krummen Gestalten hervorbrachte, die nicht alt wurden und entweder an Schwindsucht, Schlagfluss oder Wassersucht starben. So wurde die Kultur des Schnapses vom Ritual des Kaffeetrinkens abgelöst. Kaffee als Heilmittel am Morgen, um wach zu werden, Kaffee am Abend vor dem Zubettgehen, um besser zu schlafen. Kaffee vor dem Zahnarztbesuch zur Beruhigung, Kaffee vor den Prüfungen, um das Gedächtnis zu wecken. Kaffee, um den durchfrorenen Darm la beglia manedla zu wärmen und Kaffee zum Schutz vor der Hitze im Sommer. Ja, es soll sogar Pfarrer geben, die die Messe mit Kaffee zelebrieren. So gross ist die Revolution des Kaffees, dass man ihn in Thermosflaschen im Rucksack des Jägers ebenso findet wie auf dem Altar des Priesters.