Schweizerspiegel. Roman

«Seit mehr als einer Woche bist du nicht mehr dagewesen, Mama», sagte Gertrud mit halb ernstlichem, halb scherzhaft kindlichem Vorwurf. Sie war so groß wie die Mutter, nur schlanker, biegsamer, aber nicht mager, eine stattliche Gestalt in einem unauffälligen Hauskleid. Ihr dunkelbraunes Haar floß in wenigen Wellen gelockert nach hinten in einen tiefsitzenden Knoten zusammen, ihr Gesicht war anziehend eigenwillig, ihre bräunlichen Augen hatten einen klugen, vertrauenerweckenden Blick.

«Ja, was meinst du, ich kann daheim auch nicht immer weglaufen», antwortete die Mutter und zählte rasch ein paar Gründe dafür auf, dann fragte sie, gesammelt und eine mehr als oberflächliche Antwort erwartend: «So, wie geht’s?»

«Hm!» machte Gertrud und zuckte die Achseln.

Die Mutter blickte sie forschend an, und wohl niemand außer ihr hätte in diesem aufgeschlossenen, jugendlich frischen Frauenantlitz so genau bestätigt gefunden, was sie vom ersten Augenblick des Wiedersehens an gespürt hatte, nämlich, daß es ihrer Tochter ohne ersichtlichen Grund noch immer an all dem Schwung und der Spannung fehlte, die sie sonst zu jeder gesunden Stunde selbstverständlich geäußert hatte. «Du siehst einfach schlecht aus», sagte sie vorwurfsvoll. «Nach zwei Monaten sollte man sich anders erholt haben.»


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