Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828-1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz
Trotz Ehrgeiz und Tatendrang lehnt er tollkühnes Draufgängertum ab. Die Sicherheit der ihm Anvertrauten steht für ihn an erster Stelle. Nie lässt er sich zu leichtsinnigen Manövern drängen. Da bleibt er der sture Bergler, selbst wenn ihn ein «Herr» überreden will: «Melchior, das geht schon.» Dann antwortet er: «Ja, es geht. Aber ich gehe nicht.»
Nebst seinen bergsteigerischen Fähigkeiten machen ihn sein Charisma, seine feinfühlige Autorität, seine Ehrlichkeit und sein Humor begehrt. Eigenschaften, mit denen sich im «Goldenen Zeitalter des Alpinismus» nicht alle Bergführer rühmen können. Einer seiner englischen «Herren» schreibt: «Melchior war 42 Jahre lang mein Führer, und ich habe nie von ihm einen Ausdruck vernommen, der sich gegenüber der vornehmsten Dame nicht gehört hätte.» Die ambitioniertesten Bergsteiger des englischen Alpine Club reissen sich um ihn, wollen von ihm lernen. Rühmt er sie am Berg mit seinem kargen «Gut! Gut!», ist das für sie fast schöner als der Gipfelerfolg selber.