Steinschlag. Andrea Stamms erster Fall
Beim «Adler» an der Bahnhofstrasse blieb sie stehen. Hier trafen sich die Bergführer am Stammtisch. «Lass dich doch mal am Stamm blicken», hatte Amstad hingeworfen nach der Bergung. Sie hatte es als Einladung verstanden. Es brauchte Überwindung, die Sandsteinstufen hinaufzusteigen und einzutreten. Sie musste sich konzentrieren, alle Widerstände beiseite schieben und nur das Ziel ins Auge fassen wie vor einer schwierigen Kletterstelle.
Zigarettenqualm vernebelte die Gaststube, im Zwielicht erkannte sie Amstad an seiner gebückten Haltung, obwohl er ihr den Rücken zudrehte. Er sass in einer Nische am runden Tisch, zusammen mit Rolf Frick und Paul Gisler von der Kletterschule. Andrea machte die Runde, drückte allen die Hand, setzte sich.
«Schön, dass du kommst», murmelte Amstad. «Ein Bier?»
«Danke. Ein Cola.»
«Ah, keinen Alkohol», warf Frick hin. «Nicht gut für den Sport, was?»
«Nein», stiess Andrea trotzig hervor, wäre am liebsten gleich wieder aufgestanden. Sie glaubte den Neid zu hören in der Stimme des Führers. Neid und Missgunst. Sie hatte sich bei Kletterwettkämpfen einen Namen gemacht, hatte in Kalifornien Big Walls geklettert, von denen diese Männer nur träumen konnten. Sie hatte einen Gast auf die Sila geführt, auf einer Route, welche die beiden Jungen vielleicht noch mit knapper Not schafften. Sport war für die ansässigen Bergführer ein Schimpfwort, sie hielten sich für etwas Edleres als Sportler oder Sporttrainer. Alle drei trugen das Führerabzeichen am Hemd.