Wintertauber Tod. Ein Tanner-Kriminalroman

Tanner grinste.

Ach ja, stimmt. Ich bin ja ein Fremder.

Tanner machte sich da keine Illusionen und wusste, dass sich auch in hundert Jahren nichts an der Situation ändern würde. Um dazuzugehören hätten seine Vorfahren schon mindestens Fähnchen schwenkend Napoleon die Ehre erweisen müssen, als der mit seinem Achtspänner durch das Dorf donnerte und vor Schreck erstarrte Hühner überfuhr.

Er ließ sich also nichts anmerken und sprach laut und deutlich einen freundlichen Gruß in die Runde, den man entweder mit gar keiner Reaktion oder höchstens einem leichten Nicken beantwortete. Nur die beiden Schwestern machten das Spielchen nicht mit und begrüßten ihn herzlich. Sie waren eben gute Geschäftsfrauen. Und auch sonst waren sie mit den meisten Dorfbewohnern nicht zu vergleichen.

Andererseits konnte er es den Leuten nicht verdenken. Zu viele Gerüchte waren über ihn im Umlauf, und er hatte noch keines widerlegt. Man wusste zwar, dass er vor einiger Zeit, nach einem polizeilichen Dienst in Marokko, in dieser Gegend gestrandet war. Man wusste, dass er danach maßgeblich an der Aufklärung der schrecklichen Kindsmorde in der nachbarschaftlichen Gemeinde beteiligt gewesen war und sich dabei in Elsie Marrer, eine junge attraktive Mutter eines dieser ermordeten Kinder, verliebt hatte. Elsie war hier im Dorfe wohlbekannt – und auch wohlgelitten. Sie wurde dann – so munkelte das Dorf über Elsies Schicksal – nicht ganz ohne Tanners Schuld vom Mörder in einem Eiskeller grausam gefangen gehalten und sei nach über einem Jahr im Koma schließlich im Krankenhaus verstorben. Elsies andere Kinder lebten seither bei Verwandten. Dass er diese Kinder nicht adoptiert hatte, wenn er sich schon einmal mitschuldig gemacht hatte, war ein weiterer Punkt, über den man sich den Mund zerriss. Dann gab es natürlich noch Spekulationen über das Vermögen, das er angeblich angehäuft hatte. Auf jeden Fall war es für alle Dorfbewohner offenkundig, dass er nicht zu arbeiten brauchte. Auch fuhr er eines der elegantesten Autos in der Gegend. Woher kam nur all dieses Geld? Tanners Vergangenheit präsentierte sich folglich mit einer Fülle interessanter Fragezeichen. Dass es ihm offensichtlich vollkommen egal war, was die Leute dachten, machten sie ihm zum größten Vorwurf. Denn für alle anderen war doch genau das am wichtigsten. Die einfach gestrickte Beweisführung endete damit, dass Tanner sichtlich anders war als die Dorfbewohner oder – was auf das Gleiche hinauslief – gar nicht dazugehören wollte. Damit hatten sie sich in ihren Augen auch das Recht erworben, ihn abweisend zu behandeln.