Schützenhilfe. Kriminalroman
Sie duzte mich. Sie stand sehr nah, so nah, dass ich in ihren Augen ein Flackern sah: eine Mischung aus Zorn, Schrecken und Begehren.
«Ich habe die Zentrale angerufen», ergänzte sie und wandte sich ab, «sie haben gesagt, du gehörst seit einem Jahr nicht mehr zu uns.»
5
Am nächsten Morgen fuhr ich gegen neun Uhr in meine Agentur. Ich hatte in der Altstadt eine Wohnung gemietet, dort unten, wo die Mietpreise eingebrochen waren, nachdem die Aare innerhalb von zehn Jahren drei Mal über die Ufer getreten war und sich als reissender Strom durchs Quartier gewälzt hatte. Alle hundert Jahre einen überschwemmten Keller, das hatten die Leute bisher hingenommen. Aber die Aussicht, künftig alle drei bis acht Jahre ein Jahrhunderthochwasser zu erdulden, alle drei bis acht Jahre eine bis zu den Bildern hinauf verschlammte Parterrewohnung, ein ramponiertes Auto und einen verwüsteten Garten in Kauf zu nehmen, das setzte zu. Die Beteuerungen der Politiker, mit baulichen Massnahmen entlang den Uferzonen die Flutwellen vor dem Erreichen der Stadt zu besänftigen, erinnerten an Heilsversprechen von Handauflegern und brachten die unerschütterlichste Optimistin dazu, die Wohnungsinserate zu studieren. Was nützen Stollen, Dämme, Renaturierungen entlang des Flusses und Korrekturen an der Betonschwelle vor der Stadt, wenn sich das Klima ändert und sintflutartige Wolkenbrüche zu einem wiederkehrenden Ereignis werden? Niedergehende Wassermassen müssen in den Bergwäldern und auf den Alpen gebremst werden. Sind sie einmal im Flussbett angelangt, donnern sie mit einer ungeahnten Wucht ins Tal und verlassen auf ihrem Weg ins Meer das steinerne Korsett überall dort, wo es eng wird. Höhere Dämme verlagern den Schlamassel bloss weiter flussabwärts.