Wenn die Nacht in Stücke fällt. Ein Brief an Ferdinand Hodler

Die in den Anatomiestunden gezeichneten leblosen Körper sind nicht wie Maschi­nen, die man wieder in Gang setzen kann. Außer man ist Maler. Denn sie beginnen zu leben, weil man beim Zeichnen eines lebendigen Körpers jedes Mal von dem, was man hier gelernt hat, profitieren kann. Der Materialismus von Vogt, sein Darwinis­mus macht Ihnen Mut. Sie haben schon zu viele Tote um sich gehabt, um sich nicht Fragen über die Unsterblichkeit zu stellen. Von jetzt an glauben Sie: Es sind die Ge­setze der Natur, die unsterblich sind, die Theologie soll im Keller bleiben.

An jenem Abend, als Sie die Büste von Valentine in Ihr Atelier unter dem Dach an der Rue du Rhône gebracht haben, kommen Sie im Gespräch mit dem jungen Müh­lestein darauf zurück. Ganz aufgeregt nehmen Sie Michelangelo als Beispiel, von dem Sie behaupten, seine Gemälde und Skulpturen seien ihm gelungen, weil er jeden Mus­kel, jede Sehne des menschlichen Körpers studiert habe: «Wenn du dieses Wis­sen weglässt, bricht alles zusammen, was die visuelle Kunst für die Ewigkeit geschaf­fen hat.»