Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828-1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz

Die Delegation verbringt vier Stunden auf dem Gipfel. Während Saussures Begleiter auf ihren auf den Schnee gelegten Säcken schlafen, nimmt er allerlei Messungen vor. Das Wasser zum Siedepunkt zu bringen, so stellt er fest, erfordert auf dem Mont Blanc eine halbe Stunde. Zu Genf lediglich fünfzehn bis sechzehn Minuten. Eine Pistole, die er auf dem Gipfel abfeuert, «machte nicht mehr Lärm als ein kleiner chinesischer Schwärmer im Zimmer». Der Puls von Bergführer Balmat schlägt nach den vier Stunden Ruhe 98-mal, der von Saussures Diener 112-mal und sein eigener 100-mal in einer Minute. In Chamonix sind es 49, 60, 72-mal.

In den folgenden Jahrzehnten dringen weitere Gelehrte ins Hochgebirge vor, jedoch nur einzelne und wie Saussure weniger der Berge wegen, sondern zu Forschungszwecken. Wie können Vögel und Insekten in diesen Höhen überleben? Weshalb bewegen sich die Gletscher, wie sie sich bewegen?

Oder die Meyers aus Aarau, die 1811 und 1812 mit Gemsjägern vom Wallis auf die Jungfrau klettern, um von dieser unbekannten Gegend Kartenmaterial zu erstellen. Eine Besteigung, ohne Messungen oder andere der Menschheit dienliche Beobachtungen durchzuführen, wird zu der Zeit als nutzlos angesehen oder gar nicht anerkannt. Wie etwa die Finsteraarhornbesteigung von 1812, als Meyer erschöpft auf dem Grat zurückbleibt und seine Führer angeblich alleine den Gipfel erklimmen. 1813 wird dann in der Schweiz noch das Zermatter Breithorn (4164 m ü.M.) von einer Gruppe um Henry Maynard erstmals bestiegen. 1819/20 im Monte-Rosa-Massiv die Vincentpyramide (4215 m ü.M.) und die Zumsteinspitze (4563 m ü.M.) von Joseph und Johann Vincent sowie Joseph Zumstein, 1822 die Ludwigshöhe (4341 m ü.M.) von Ludwig Freiherr von Welden.