Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828-1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz

STÜRMER, DRÄNGER, ROMANTIKER

Ein ganz neues Gesicht bekommt das Gebirge im 18. Jahrhundert im Zeitalter der Aufklärung. Diese begegnet der Natur insgesamt mit den nüchternen Methoden der Wissenschaft, aber gleichzeitig wächst das Unbehagen und die Kritik am Glauben an die Messbarkeit. Empfindsamkeit, Sturm und Drang und schliesslich die Romantik suchen einen ganz anderen Zugang zu ihr und finden nicht zuletzt in der Natur Erholung von Zivilisation und gesellschaftlicher Konvention. Sie verweisen auf die irrationalen Seiten des Lebens, auf Leidenschaften, Unberechenbarkeiten, und so entdecken sie auch die «barbarischen» Alpen mit ihren schroffen Felsen und tiefen Schluchten als ihre Seelenlandschaft. Schon 1729 macht der Berner Universalgelehrte Albrecht von Haller mit seinem Gedicht «Die Alpen» Furore, in dem er der «verweichlichten Zivilisation» die Augen für die Schönheit der Berge zu öffnen versucht. Er verachtet Städter, die in Luxus und Genuss leben. Jean-Jacques Rousseau sieht die Alpenbewohner noch in einem unverdorbenen Naturzustand, Joseph von Eichendorff schreibt vom «reinen, kühlen Lebensatem», den die Bergbewohner «auf ihren Alpen einsaugen». Schriftsteller aus ganz Europa schreiben von «süssen Schauern», wenn sie in den Alpen «trotzig hinabschauen in die Schrecken». Lord Byrons «Manfred» von 1817, ein Hauptwerk der Romantik und oft vertont und gemalt, spielt unter anderem auf dem Gipfel der Jungfrau. Reisen in die Schweiz kommen in Mode. Aber weder Rousseau, Byron noch die Stürmer und Dränger sind Alpinisten. Johann Wolfgang von Goethe steigt auf unbedeutende Gipfel wie die Rigi oder den Brocken in Deutschland und macht Passtouren.