Pionier und Gentleman der Alpen. Das Leben der Bergführerlegende Melchior Anderegg (1828-1914) und die Blütezeit der Erstbesteigungen in der Schweiz
Noch bis tief ins 18. Jahrhundert gilt des Römers Livius altes Wort von der Scheusslichkeit der Alpen – der Foeditas Alpium. Wer immer der unwirtlichen Einöde trotzt, die zwischen Nord- und Südeuropa liegt, tut das aus schierer Notwendigkeit und hält sich eng an die alten Passstrassen. «Gott gib mich meinen Brüdern zurück, damit ich sie warnen kann, diesen qualvollen Ort zu meiden», betet ein englischer Mönch, als er 1178 den Gotthard auf dem Weg nach Rom überquert. Der protestantische Missionar David Cranz beobachtet noch 1757 auf dem Flüelapass mit Bestürzung, wie nicht nur die Vegetation, sondern Sichtbares überhaupt verschwindet: «Wenn die Bäume und nach ihnen die Alpen wegen der grossen Kälte aufhören, sieht man noch ein wenig Gras zwischen den Steinhaufen, dann nur noch Moos und endlich gar nichts.» Sein Zeitgenosse Johann Joachim Winckelmann setzt sich gegen den Schrecken der Alpen zur Wehr, indem er 1760 auf dem Weg zu Italiens Kunstschätzen die Fenster seiner Kutsche verhängt, um sich den furchtbaren Anblick von Fels und Eis zu ersparen. Wer zu Pferd über die Saumwege muss, verbindet sich die Augen.